Samstag, 29. September 2012

"Dogtooth" [GR '09 | Giorgis Lanthimos]

Es ist ein interessanter Gedanke vom autoritären System zwischen Gartenzaun und Eigenheim, den Regisseur Giorgis Lanthimos zumindest formal zufriedenstellend umzusetzen weiß: Ein zwei Meter hoher Zaun umgibt die Villa der Familie, das Haus erstrahlt in Suizid-verursachender Tristesse und die weißen Wände scheinen den Bewusstseinszustand der lethargischen Geschwister symbolisch repräsentieren zu wollen. Doch es mangelt an einem einschlägigen Konzept, an einem sprichwörtlichen roten Faden, stattdessen verliert sich das Geschehen zunehmend in der enormen Vielschichtigkeit der Ausgangsidee. Wir werden zwar zum Voyeur dieser perversen Versuchsanordnung gemacht und beobachten junge Menschen bei ihrer psychischen Verstümmelung, resultierend aus der sozialen Isolation durch den erschreckend gewöhnlich erscheinenden Vater, doch „Dogtooth“ opfert seine vielversprechende Ausgangslage zunehmend sexuellem Nonsense.

„Dogtooth“ erinnert in seinem depressiv-melancholischen Grundtenor und seiner kühl-distanzierten Inszenierung bisweilen an von Trier's „Melancholia“ und Haneke's berühmte Medien- und Gewaltkritik „Funny Games“. Neben den surrealistischen und oftmals völlig absurd anmutenden Dialogen zwischen den Familienmitgliedern, streut Lanthimos nicht selten auch schwarz-humorige Elemente in das Geschehen ein (die gesamte Familie, bellend vor dem Vater aufgereiht). Auf inhaltliche Klarheit oder gar Antworten zu der uns gebotenen Ausgangssituation, verzichtet der griechische Regisseur dabei völlig. Wir bleiben bis zum Ende ein Fremdkörper in einem Familiengefüge voller verquerer Ideale, absurder Reglements und bizarrer Wettkämpfe. Moralische Fragen stellen sich selten, weil die sich uns gebotene Welt als gegeben akzeptiert wird; als intakter Mikrokosmos, der beinahe einen perversen Sinn zu machen scheint. Seine finale Eskalation kündigt „Dogtooth“ dabei schon früh unterschwellig an, transportiert seine Intention aber mit der notwendigen Konsequenz. Und doch bleibt der dritte Spielfilm von Giorgos Lanthimos nicht selten ein filmisches Placebo, das sich leider allzu oft von jener vielschichtigen Faszination distanziert, die die unzähligen Ansätze boten und versäumt es damit, hier womöglich ein Meisterwerk des europäischen Arthaus-Kino zu schaffen.

7/10

Montag, 24. September 2012

"An American Crime" [US '07 | Tommy O´Haver]

Wenn sich Hollywood einer wahren Begebenheit annimmt, schwingt nicht selten die berechtigte Befürchtung der ungenierten Vorlagen-Schändung mit. Zu oft bewiesen übereifrige Filmemacher eindrucksvoll ihr fehlendes Gespür für die jeweilige Thematik. Tommy O'Haver aber wart mit seiner Verfilmung den Respekt vor diesem 1965 ereigneten Verbrechen, vor allem deshalb, weil er es versteht seine glänzende Inszenierung nie in den Mittelpunkt rücken zu lassen und auf eine übermäßige Dramatisierung gänzlich zu verzichten.

„An American Crime“ ist höchst subtiles Suspense-Kino, reinrassiger Psycho-Horror in seiner schlimmsten Form und doch fortwährend die seriöse Aufarbeitung von Kriminalgeschichte in nervös-fiebriger Atmosphäre. Die Wirkung, die „An American Crime“ erzielt, resultiert dabei weniger von der gezeigten Gewalt, als von jener schier unbändigen Wut, die die glänzend spielende Catherine Keener in ihrer unfassbaren Vielschichtigkeit zwar stetig suggeriert, aber nie offen darlegt. Sie ist das böse. Sie ist es, gegen das unsere Heldin (herausragend: Ellen Page) vorzugehen hat. Dem Zuschauer bleibt gar keine Wahl, er hat sich – seinem Gewissen und diversen Introjektionen folgend – auf ihre Seite zu stellen. Wir hoffen, wir bangen, wir zittern und wir trauern mit der bemitleidenswerten Sylvia. Und wir werden wütend, wenn wir das ihr angetane Leid erblicken.

O'Haver involviert uns emotional und darf sich spätestens mit Beginn des gezeigten Martyriums unserer vollen Aufmerksamkeit gewiss sein. Er generiert eine unglaubliche Wut auf alle, die sich unserer Protagonistin entgegenstellen und lässt damit eine ungewöhnlich starke – wenn auch primär durch Mitleid bestimmte – Bindung zu dieser entstehen. Und doch lässt O'Haver's kühle Inszenierung eine eigene kritische Betrachtung des Gezeigten und vor allem die alles entscheidende Frage zu: Was würde ich tun?

Die wahre Natur des Menschen ist in „An American Crime“ eine zutiefst bösartige. Der Mensch ist verkommen, ein Sadist und Voyeur, ein Gewalttäter und vor allem jemand, der all seine moralischen Prinzipien im Dienste des Kollektivs über Bord wirft – ein Mitläufer also. Als Instrument dient die Angst. Angst vor Isolation, Angst vor Gewalt und gesellschaftlichen Unverständnis. „An American Crime“ ist damit vor allem ein beeindruckendes Zeugnis für jene Gruppendynamik, die unter einer autoritären und von völlig absurden Welt- und Feinbildern geprägten Instanz entstehen und wachsen kann. Sie bringt das Schlimmste im Menschen zum Vorschein und O'Haver begeht nicht den Fehler, das Verhalten seines schweigenden und das Verbrechen tolerierenden Kollektivs als Resultat der alles bestimmenden Angst zu erklären.

Der unbändige Drang nach Dekonstruktion, nach Gewalt und damit auch nach dem damit einhergehenden Leid, wird in „An American Crime“ als Teil unserer Natur angesehen. Unbegreiflich, aber fortwährend präsent. Es ist weniger der Ur-Trieb des Selbstschutzes, der die Gruppe junger Gewalttäter antreibt, es ist ihre Natur, ein immer beständiger Atavismus nach Zerstörung. Es sind somit weniger die Figuren interessant, als ihr archetypisches Verhalten, das O'Haver sorgfältig seziert, analysiert und letztlich auch reflektiert. Dennoch – und das macht „An American Crime“ zwar weniger radikal, dafür aber weitaus optimistischer – führt der US-Amerikaner das Verbrechen auch auf soziale Aspekte zurück: Sylvia dient als Projektionsfläche für Aggressionen, für Unzufriedenheit und beendet die Suche nach einem Schuldigen. Historisch belegtes Gruppenverhalten.

Schockierender wird „An American Crime“ durch die Instrumentalisierung von Kindern. Junge Menschen sind formbarer und empfänglicher für Ideologien, vor allem aber für Feinbilder. Aber auch hier weiß O'Haver zu differenzieren und zeigt Unterschiede zwischen einzelnen Gruppenmitgliedern und deren Verhaltensweisen auf. Selbst autonome Individuen scheinen am Ende machtlos gegen den Strom der Allgemeinheit. Denn selbst Zivilcourage ist nach Eintreten des finalen und perfekt getimten Twist nur eine Illusion. Sie wird als Wunschvorstellung deklariert. Als nie wirklich existente Option. Genugtuung erfährt der Zuschauer erst am Ende und auch dort nagt weiterhin die bohrende Frage an uns: Was würde ich tun? Der Zuschauer erfuhr eine moralische Läuterung. „An American Crime“. Ein filmisches Mahnmal, nahe der Perfektion.  

8/10

Dienstag, 18. September 2012

"Die zwölf Geschworenen" [US '57 | Sidney Lumet]

Fiebriges Kammerspiel, welches sowohl die Schattenseiten, als auch die Chancen eines juristischen Systems, vor allem aber der darin agierenden Figuren und deren auferlegte Verantwortung thematisiert. Trotz der fortwährenden, räumlichen Statik, bleibt der Weg zur Wahrheitsfindung immer ein interessanter, nicht zuletzt aufgrund des glaubwürdigen Schauspieler-Ensembles und deren Figuren, die sich alle – ausgenommen einer Ausnahme – auf einer Ebene bewegen. Lumet's Film liest sich dabei vor allem als Mahnung zu mehr Verantwortung, sensibilisiert aber gleichzeitig auch die Wahrnehmung der eigenen Rolle innerhalb einer exekutiven Institution. Die Leichtigkeit mit der eine Gruppe gewöhnlicher Bürger, die allesamt den Gesetzen der Gruppendynamik und der damit einhergehenden Psychologie unterliegen, eine Hinrichtung verabschieden können, kann aber auch als kritisches Statement gelesen werden. Die große Stärke von „Die zwölf Geschworenen“ liegt jedoch in erster Linie darin, dass Lumet auf eine einschlägige Wertung des Geschehens verzichtet. Damit endet der Film nicht etwa mit der Sichtung, sondern erst mit der Beantwortung der Fragen, die sich für jeden Einzelnen nach der Urteilsverkündung ergeben. Denn mehr als ein Tatsachenbericht will und darf der Film nicht sein, er dient vielmehr der Eröffnung eines Dialogs, einer Diskussion über ein System, das bis heute Bestand hat und damit auch einer gewissen Brisanz und Aktualität nicht entbehrt. Dem eskapistischen Charakter des Kinos seiner Generation verweigert sich der Film dabei völlig und lässt die Leinwand zur wertfreien Diskussionsplattform mutieren. Ein außergewöhnliches, wichtiges und gänzlich zeitloses Stück Filmgeschichte.  

9/10

Freitag, 14. September 2012

"The Thing" [US '82 | John Carpenter]

1982, als der Hype um Ridley Scott's „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ allmählich verklungen war und Spielberg's „E.T. - Der Außerirdische“ zum Kassenschlager avancierte, schien kein Platz zu sein für einen Carpenter und seine Interpretation vom Horror aus dem All. Die Idee eines alles auslöschenden, parasitären Fremdlings war nicht weiter originär und der Erfolg von „E.T.“ machte es deutlich: „The Thing“ musste zwangsläufig floppen, der Zeitgeist war ein anderer. 

Der Faszination des Alls wurde durch Scott's wegweisendes „Alien“-Projekt zwar endgültig die Unschuld genommen und der Science-Fiction-Horror war längst Mainstream-tauglich geworden, jedoch weckte Spielberg mit seinem Familienabenteuer anscheinend verborgene Sehnsüchte nach einer Rückkehr zu jenen Zeiten, als das All noch ausschließlich als Schauplatz für groß angelegte Space-Operas und bombastische Sternenkriege fungierte. Größere Aufmerksamkeit erweckte „Das Ding aus einer anderen Welt“ (dt. Titel) erst Jahre später, als sich die auf dem '51 erschienenen „The Thing from another World“ beruhende Neuinterpretation in Fankreisen langsam als Geheimtipp etablierte. Seitdem genießt Carpenter's Body-Horror Kultstatus und gilt neben dem Slasher-Genre-begründenen „Halloween“ als Carpenter's einflussreichste Arbeit im Horrorgenre.


„The Thing“ ist ein weiterer Beweis dafür, dass sich wirkliche Qualität und die absolute Hingabe eines Regisseurs für das zugrundeliegende Sujet, früher oder später durchsetzt und angemessen honoriert wird („Blade Runner“ gilt heute als Meilenstein). Fernab generischer Einheitsmixturen und unverblümter Exploitations-Orgien, schuf John Carpenter seine ganz eigene, unverwechselbare Version von „The Thing from another World“, bettet das Geschehen in eine klug gestaltete, aber nie überfrachtete Szenerie ein und stellt dem bösartigen Eindringling – wie Scott es schon bei „Alien“ tat – eine Gruppe rational denkender und überlegt agierender Wissenschaftler gegenüber. Ein Duell, das mehr oder weniger auf Augenhöhe stattfindet und dem von klischiert-blöden Teenie-Slashern frustrierten Publikum eine enorme Identifikationsfläche bietet. So bleibt das Verhalten der ungewohnt großen Darsteller-Riege nicht nur fortwährend wohl überlegt, sondern erfährt auch eine glaubwürdige Entwicklung, die von den ersten Opfern und der zunehmenden Paranoia herrührt. 

Die Kontingenz der Geschichte, zum einen bedingt durch die Tatsache, dass mit Kurt Russell zwar eine Figur eine gewisse Zentrierung erfährt, jedoch fortdauernd der Bestandteil eines Kollektivs bleibt, sowie die ersten Todesfälle und deren scheinbare Willkür, sorgen für ein immenses Spannungsgefühl. Es gebührt Carpenter schon einiges an Respekt, dass es ihm selbst nach dem etwas zu frühen Auftritt des außerirdischen Parasiten gelingt, regelmäßig den nötigen Suspense zu evozieren, um im nächsten Moment wieder durch die brachial-eklige Maskenarbeit gänzlich andere Akzente zu setzen.

„The Thing“ spielt nicht – wie „Alien“ in seinem ersten Abschnitt – mit dem Verborgenen, mit der Fantasie des Rezipienten also, sondern bleibt – sich der Kommunismus-Parabel des Originals vollkommen entledigt – ein überraschend simpler und direkter Horrorspaß, der jedoch allzu schnell zur etwas platten Effekte- und Maskendemonstration gerät. Carpenter zeigt zwar abgerissene Hände, glitschige Organe und skurril gestaltete Fleischhaufen, jedoch kommt der berühmte Horror im Kopf oftmals zu kurz. 

Der US-Amerikaner versäumt es, sich die Fantasie des Zuschauers zu Nutze zu machen, sondern macht das Unvorstellbare sichtbar. Carpenter zeigt alles, was es zu zeigen gibt und beraubt „The Thing“ damit um einiges an Potenzial. Denn anstatt mit den Erwartungen des Zuschauers zu spielen, gängige Genre-Mechanismen gekonnt auszuhebeln, sowie ab und an auf die Vorstellungskraft des Zuschauers zu setzen, konzentriert sich Carpenter in erster Linie auf ein zwar wenig subtiles, aber immer noch eindrucksvolles Gekröse. Das ist unterhaltsam, kreativ gestaltet sowieso und fast durchgängig atmosphärisch in Szene gesetzt, aber nie all seine Möglichkeiten ausschöpfend. Dennoch bleibt mit „Das Ding aus einer anderen Welt“ ein Horrorfilm, der - überraschend gut gealtert und noch heute visuell beeindruckend - völlig zu Recht in den Kreis der bekanntesten Genre-Klassiker gezählt werden darf und bis heute (vermutlich) nichts von seiner ursprünglichen Faszination verloren hat.  

7/10

Dienstag, 11. September 2012

"Inglourious Basterds" [US '09 | Quentin Tarantino]

Irgendwo zwischen martialischer Rachefantasie, dialogintensiven Glanzstück und grandios inszenierten Zitate-Spektakel, feierte „Inglourious Basterds“ nach Jahrzehnten der Planung, des Umschreibens und der Wiederaufnahme 2009 endlich seine Premiere. Und ein wenig mutet Tarantino's bizarrer Geschichtsausflug in Nicht-Geschichte so an, wie die Besinnung auf die (guten) alten Zeiten. Die Zeit, in der „Pulp Fiction“ ihm nach seinem Debüt „Reservoir Dogs“ den endgültigen – und auch wohlverdienten – Durchbruch bescherte also. Und so gestaltet sich „Inglourious Basterds“ in zweierlei Hinsicht als Ausflug in längst vergangene Tage. Die zwanzig-minütige Eingangssequenz, mustergültig in seinem Zusammenspiel aus Dialogzeilen, auditiver Untermalung und Figurenexposition, stellt deshalb nicht umsonst eines der stärksten und garantiert lange im Gedächtnis bleibenden Kapitel in dessen Film dar. Mehr denn je, kreiert Tarantino Momente von nervenzerreißender Spannung. Große Entdeckung ist selbstverständlich nach wie vor Christoph Waltz, dessen Charakter irgendwo zwischen absurder Nazi-Karikatur und perfidem Massenmörder angelegt zu seien scheint und der – und das macht ihn zu solch einem besonderen und letztlich auch bedrohlichen Gegenspieler – nie wirklich durchsichtig ist in dem was er tut und denkt. Zum trashigen Showdown hin, scheinen Tarantino aber allmählich die Ideen auszugehen. Dann werden Hitler-Wachsgesichter bis zur Unkenntlichkeit zerschossen (fast so als sei der Ursprung allen Übels in diesem kranken Geiste zu verorten), Nazi-Generäle inmitten eines Feuersturmes wie Vieh abgeschlachtet und das Publikum feiert die Chose ab, als sei die Sache damit erledigt. Aber solange alles unter dem Deckmantel des Trash geschieht, darf an Tarantino ja kein Anspruch gestellt werden. Es muss, es soll Spaß machen, tolle Dialoge liefern und jeden tiefergehenden Anspruch meiden. Ist halt alles nur ein großer Gag. 

7/10

Freitag, 7. September 2012

"Gangs of New York" [US '02 | Martin Scorsese]

Es ist wenig überraschend, dass Scorsese's Wunschprojekt vor einer Mehrheit des Publikums – aber auch vor der Kritik – mehr oder weniger scheiterte. Die über mehrere Jahrzehnte andauernde Produktionsgeschichte, der mediale Rummel und überhaupt die fehlende Transparenz über die Entstehung dieses Mammut-Projektes, trug zur Schaffung eines Mythos bei, an dem „Gangs of New York“ zwangsläufig scheitern musste.

Die Erwartungen an ein übliches Historien-Drama, welches nie als ein solches angedacht war – zumindest nicht im herkömmlichen Sinne – waren zu groß und vermutlich auch zu mannigfaltig, um diesen entsprechen oder sie gar übertreffen zu können. Verschiedene Rollenwechsel, sowie massive Budgetüberschreitungen trugen darüber hinaus zu der problematischen Entstehungsgeschichte von „Gangs of New York“ bei. Dabei ist Scorsese's Interpretation von den Ursprüngen dieser inzwischen hoch zivilisierten Metropole eines seiner besten Werke...

Scorsese ist ein Kind der Straße und so erfährt die Gewalt in dieser epochalen Aufarbeitung einer Gründungsgeschichte eine immense – und gleichzeitig auch völlig legitime – Fokussierung. „Gangs of New York“ bietet eine freie Interpretation der Geschichte und verschreibt sich nicht einer dokumentarischen Seriosität, die aufgrund der fragmentarischen Aufzeichnungen dieser Zeiten ohnehin nicht vollkommen möglich ist.

Scorsese's New York ist ein gewalttätiges Moloch, in der Rassenhass und Mord ebenso zur Tagesordnung gehören, wie Wahlen-Manipulation und politische Intrigen. Eine Stadt der Ethnien, der Kulturen, in der der innere Krieg mindestens ebenso unbarmherzig zu herrschen scheint, wie Tag täglich auf den von Blut getränkten Straßen. Scrosese arrangiert die visuelle Realisierung von „Gangs of New York“ fast gänzlich ohne schlecht alterndes CGI, sondern setzt auf beeindruckende Sets und eine üppige Ausstattung (an diesem Punkt wird die Notwendigkeit der Budgetüberziehungen besonders deutlich).

Und doch ist relativ leicht festzumachen, woran „Gangs of New York“ in den Augen der Presse und vor allem einer Mehrzahl der Kino-Zuschauer scheiterte: Es fehlt eine kohärente Plot-Konstruktion. Zumindest im herkömmlichen Sinne. Dass es aber nicht um die vordergründige und wenig einfallsreiche Revenge-Story, sowie um die lauwarme Liebesgeschichte zwischen Vallon (Leonardo DiCaprio) und Everdeane (Cameron Diaz) geht und auch nie ging, wird besonders an der finalen Auseinandersetzung zwischen dem wieder einmal alles in den Schatten stellenden Daniel Day-Lewis und Leonardo DiCaprio deutlich. 
 
Bereit zur alles entscheidenden Schlacht, die Messer, das Schlachter-Beil und die Knüppel gezückt; sich entschlossen - mitsamt der treu ergebenen Gang-Mitglieder im Rücken - gegenüberstehend, werden sie vom plötzlichen Eingreifen der Marine unterbrochen. Und während die Kanonenschläge zwischen den Gangs tiefe Krater reißen, scheint es, als zoome Scorsese aus dem bislang bestimmenden Geschehen heraus und präsentiere uns den lange vorbereiteten Twist: Seine Protagonisten und ihre Geschichten sind nur eine Momentaufnahme ohne scheinbare Relevanz für das weitere zeithistorische Geschehen.

Unsere Helden werden ebenso schnell vergessen sein, wie sie sich einen Namen in den Straßen einer zutiefst gespaltenen Stadt gemacht haben. Die Zeit wird ihren Weg gehen, New York – inzwischen ein autonomer Organismus, dessen politisches und soziales Geschehen nicht weiterhin autoritär zu lenken ist – wird seinen Weg gehen. Es geht nicht um die vordergründige Geschichte um Rache, es geht – und hier wird Scorsese seinen Ansprüchen vollkommen gerecht - um die Historie, die Unruhen, die Kriege, das Blut und all die Opfer aus der diese Stadt und ihr politisches System gewachsen sind. 
„Gangs of New York“ - vielleicht sogar Scorsese's wichtigstes Projekt, das auch unter Betrachtung seiner ungemein problematischen Entstehungsgeschichte einmal mehr beweist, was für ein unerschrockener Filmemacher Scorsese bis heute geblieben ist. Ebenso epochal, wie blutig. Ein Meisterwerk.   

8/10

Montag, 3. September 2012

"Twilight" [US '08 | Catherine Hardwicke]

Mit etwas Abstand zum damaligen Hype, der vermutlich in erster Linie von pubertären Vierzehnjährigen verursacht worden war und den darauf folgenden Anti-Hype, für den sich wiederum vor allem empörte Cineasten verantwortlich zeigten, erweist sich „Twilight“ letztlich nicht mehr und nicht weniger als zutiefst ehrlicher Adaptions-Entwurf eines vermutlich nicht wirklich herausragenden Bestsellers. „Twilight“ bedient eine Klientel ohne große cineastische Vorbildung, behandelt dessen Themen von der unsterblichen Liebe und Entfremdung und weiß anscheinend auch um die Genügsamkeit seines selten volljährigen Publikums. Mit anderen Worten: Man kann mit einem Film wie „Twilight“ aus Sicht der angesprochenen Zielgruppe einfach nicht viel falsch machen. Es gibt deshalb eigentlich auch nichts wirklich herausragendes an „Twilight“, aber eben – und so ehrlich sollte man sein – auch nichts wirklich störendes. Die strikte Prüderie und den gefühlten Keuschheitsschwur der Protagonisten, welcher schon beinahe lächerliche Ausmaße annimmt, sollte man hierbei auch nicht überbewerten. Stattdessen lohnt sich ein Blick auf die gar nicht mal so unsympathischen Charaktere (Pattinson hat Ausstrahlung, Stewart wirkt immer etwas erstaunt), die angenehm ruhige Inszenierung, die ohne jede unnötige Hektik auskommt und sogar akzentuierten und meist auch zündenden Witz. „Twilight“ ist ein Film, der nie wirklich stört, aber eben auch nie wirklich mitreißt. Spannung ist Mangelware, die Dialoge schwanken extremst in ihrer Qualität und ein Antagonist, der irgendetwas anderes als Gleichgültigkeit auslöst, fehlt leider auch vollkommen (wer ist dieser Zwerg mit dem Pferdeschwanz und der Lederjacke nochmal?) Das gelegentlich aufglitzernde – äh, pardon - aufblitzende Potential seiner Geschichte nutzt Hardwicke aber leider nie und scheint auch alle Schwächen der Romanvorlage gewissenhaft zu übernehmen. In seinen besten Momenten erinnert „Twilight“ dann an Romeo und Julia - in seinen schlechtesten jedoch eher an eine mittelmäßige Doku Soap. Eine komische Mischung. 

4/10

Samstag, 1. September 2012

Zuletzt gesehen: August 2012

"Ted" [US '12 | Seth MacFarlane] - 6.5/10

"Sherlock: Der blinde Banker" [UK '10 | Euros Lyn] - 4/10

"Inglourious Basterds" [US '09 | Quentin Tarantino] - 7/10

"Strange Days" [US '95 | Kathryn Bigelow] - 6.5/10

"In Her Skin" [AU '09 | Simone North] - 6.5/10

"Gottes Werk und Teufels Beitrag" [US '00 | Lasse Hallström] - 7/10

"Caché" [FR, AT, DE, IT '05 | Michael Haneke] - 5/10

"Die zwölf Geschworenen" [US '57 | Sidney Lumet] - 8.5/10

"Blade Trinity" [US '04 | David S. Goyer] - 1/10

"Sherlock: Das große Spiel" [UK '10 | Paul McGuigan] - 6/10

"Ben X" [NL, BE '07 | Nic Balthazar] - 3/10

"Twilight" [US '08 | Catherine Hardwicke] - 4/10

"Prometheus" [US '12 | Ridley Scott] - 4/10

"Blood Simple" [US '84 | Ethan und Joel Coen] - 7/10