Sonntag, 31. Dezember 2017

Just another Rückblick (2017)

Statt eines Rückblicks auf die diesjährigen Filmveröffentlichungen, an dieser Stelle ein paar allgemeinere Gedanken zur Welt des Kinos selbst. Zu momentanen Kino-Blockbustern gibt es von meiner Seite nicht mehr zu sagen als ich bereits vergangenes Jahr an gleicher Stelle gesagt habe und wurde sowieso schon von anderen, viel kompetenteren Leuten ausführlich besprochen. Ich möchte das Jahr lieber mit einigen Gedankenfragmenten beschließen, die ich mir das Jahr über gemacht, aber nie ernsthaft vertieft habe. Wenn dieser Text also sprunghaft erscheinen mag, dann liegt das in der Natur seiner Konstruktion. Am Ende folgt dann jeweils ein Halbsatz zu meinen liebsten Filmen dieses Jahres.

Über Trailer-Reactions im Internet

Es ließe sich sicherlich ein interessantes Essay zu diesem recht neuartigen Phänomen verfassen. Dieses Jahr fiel mir zum ersten Mal richtig auf, was für eine schräge Sache abgefilmte Reaktionen zu Trailern eigentlich sind: da filmen sich Menschen, oftmals Youtuber, meistens US-Amerikaner, dabei, wie sie auf den neusten Trailer eines sehnsüchtig erwarteten (Franchise-)Films ejakulieren reagieren. Das beschränkt sich nicht nur auf die Film-Nerds einschlägiger Youtube-Kanäle, sondern wird inzwischen auch von ganzen Familien-Clans, Bar-Gemeinschaften oder, besonders schön, weil in Arbeitskleidung, sogar Pfarrern zelebriert. 

Besonderer Beliebtheit erfreuten sich dieses Jahr selbstverständlich die Reaktionen zu den Trailern zum neusten Krieg der Sterne. Selten blieb bei den Reaktionen ein Auge trocken oder der Mund geschlossen. Oft sind die Augen weit aufgerissen und der Oberkörper bebt vor Aufregung und Ergriffenheit. Meistens fallen Ausrufe wie „Oh my God“ oder „Awesome“. Routiniertere Nerds analysieren bereits einzelne Plot-Details und spekulieren über die total geheime Story des neuen „Star Wars“, weil diese Filme ja für ihre besonders komplexen, narrativen Strukturen bekannt sind.

Die Reaktionen anderer helfen offenbar dabei, die eigenen zu sortieren und einzuordnen, und sie steigern das Filmerlebnis bereits im Vorfeld in seiner Bedeutung. Außerdem scheint das ausführliche Zelebrieren eines bevorstehenden Kinobesuchs über Trailer-Reaktionen und Analysen aus dem Bedürfnis gespeist zu werden, ungefilterte, authentische Emotionen nacherleben zu können und sich von ihnen anstecken zu lassen. Plattformen wie Youtube geben die Möglichkeit neben des gemeinschaftlichen Kinoerlebnisses auch die steigende Vorfreude mit Gleichgesinnten zu zelebrieren. Als Zuschauer von Trailer-Reaktionen befindet man sich dabei in einer seltsamen Rolle wieder, schließlich rezipiert man die Rezeption anderer. 

Das Schauen von Trailer-Reaktionen scheint mir sehr verschiedene Bedürfnisse zu befriedigen: sie kann eine Bestätigungsfunktion einnehmen und die eigenen Bedeutungszuschreibungen legitimieren, damit einhergehend dem Wunsch nach einer globalen, in ihren Sehnsüchten geeinten Gemeinschaft befriedigen. Sie kommt aber auch dem Bedürfnis nach emotionalen Hochmomenten nach oder kann Leute wie mich in ihrem Bild vom unkultivierten Ami bestätigen, der die Trailer-Reaktionen selbstverständlich NUR aus rein soziologischem Interesse verfolgt. Dass die Trailer-Reactions gleichzeitig eine außerordentlich effektive, kostenlose Werbekampagne für Milliarden-schwere Konzerne wie Disney fahren, muss dabei eigentlich gar nicht mehr erwähnt werden. Dennoch: irgendetwas liegt in den Gesichtern zu Tränen gerührter, zutiefst ergriffener Menschen begraben, das den Bedürfnissen von Millionen von Zuschauern entgegenkommt und das auch mich nachhaltig beschäftigt.

Über Louis C.K.

Louis C.K. ist dieses Jahr vor allem eine riesige Enttäuschung. Viele Leute haben bereits ihre Meinung zu seinem Fall im speziellen und zur #MeToo-Debatte im allgemeinen ausführlich dargelegt; viele vorschnell und hysterisch, insbesondere in den USA, wo Diskurse nicht selten in blindem Aktionismus gipfeln; andere waren da überlegter oder aufrichtig subjektiv. Am Beispiel Louis C.K. manifestiert sich eine hochinteressante, schwierige Debatte über die moralische Integrität des Filmemachers – oder überhaupt die Rolle einer Biografie in einem künstlerischen Werk. Ich denke, der Wert des Kinos speist sich gerade aus der Vielzahl von Repräsentationen der Wirklichkeit. Soll heißen: der Künstler ist nicht moralisch perfekt und es darf nicht die Voraussetzung künstlerischer Arbeit sein, es sein zu müssen. 

Die moralische Beurteilung sollte vom Werk ausgehen, nicht vom Werk-Schaffenden. Im besten Falle bringt der Filmemacher sein Fehlverhalten in das Werk ein, denn vielleicht ergeben sich aus seinem künstlerischen Umgang mit seinen Taten neue Lösungsansätze; zu einer Idee davon, was danach kommt und wie es weitergeht. Ebenso wie die Stimmen der Opfer, sollten auch stets die Stimmen der Täter hörbar sein, alles andere würde der Komplexität dieses spezifischen Falls, aber auch den umfassenden, gesellschaftlichen Machtstrukturen, in dem er verortet ist, in keinster Weise gerecht.

Über das Schreiben

Was wirklich frustrierend ist: wenn relativ zügig zu schreibende Geschmacksurteile mehr Beachtung finden als der Versuch einer differenzierten Auseinandersetzung. "So ist es!" kommt einem auch leichter über die Lippen als "dort warst du in den Begrifflichkeiten etwas unscharf, aber du sprichst einen wichtigen Aspekt an, der mir neue Möglichkeiten der Lesart erschlossen hat". Der Like-Button erlaubt keine differenzierte Auseinandersetzung, er ist lediglich ein geschmacklicher Markierungspunkt in der Landschaft, aus dem sich dann ein mehr oder weniger (eher weniger) aussagekräftiges, geschmackliches Profil gewinnen lässt. Wertung steht in der Affekt-getriebenen Irrenanstalt Internet stets vor differenzierter Diskursfreude.

Über das Kino als Ort

Um ehrlich zu sein, habe ich die Loblieder auf den Wert des Kinos als Ort nie so wirklich verstanden. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht zu sehr misanthropisch veranlagt, aber andere Menschen sind mir beim Filmeschauen schon immer mehr Einschränkung als Bereicherung gewesen. Nur in den seltensten Fällen bereichert eine andere Person das Filmvergnügen und in den allermeisten Fällen, beim gemeinsamen Schauen im Kinosaal nämlich, verleiden sie es mir. Ja, ich glaube, ich wünschte, der Kinosaal wäre leer. Menschen mit ihren Kommentaren, ihrem schlechten Nacho-Atem, ihren nervösen Zuckungen oder dämlichen Nachfragen sind nichts als Ablenkung; bieten nichts, das den Film auf der Leinwand um eine wie auch immer geartete, rezeptorische Ebene bereichern würde. Noch nie war die kollektive Reaktion eines Publikums für mich lehrreich. Alles was der Kinosaal in der Regel zu leisten imstande ist, ist aus Film-Enthusiasten Kulturpessimisten zu gebären. 

Über meine Filme des Jahres

Personal Shopper“ von Olivier Assayas
Der Film über das Smartphone und das Leben mit dem digitalen Echo.

Certain Women“ von Kelly Reichardt
Der Film über die Tristesse im Nirgendwo und den stummen Schrei nach einer zärtlichen Berührung.

A Ghost Story“ von David Lowery
Die zärtliche Berührung.

The Beguiled“ von Sofia Coppola
Der Film über die Macht- und Begehrens-Strukturen zwischen Mann und Frau.

Moonlight“ von Barry Jenkins
Der Film über Milieu-bedingte Identitätskonstruktionen.

Cameraperson“ von Kirsten Johnson
Der Film über den ethnografischen Film.

Mein Leben als Zucchini“ von Claude Barras
Die Ode an den Sozialberuf.

Freitag, 22. Dezember 2017

"Spider-Man: Homecoming" [US '17 | Jon Watts]

Maximal Zielgruppen-optimierter Superhelden-Quark, den ich mit Zwölf bestimmt auch maximal gefeiert hätte. Wie sich die Macher mit Youtube-Clips, Spider-Man-Live-Streaming und Lego-Death Stars den Zeitgeist zu eigen machen und zu jedem Zeitpunkt wissen, welche Knöpfe zu drücken sind, verdient allerdings schon ein gewisses Maß an Respekt. Dass solche Filme auch von Vollbart-tragenden Mitdreißigern mit Yankees-Cap und Motto-Shirt gefeiert werden ist dennoch einigermaßen befremdlich. Mir persönlich fehlte ein Gespür für das Coming-of-Age-Sujet, in dem man sich mit einer Origin-Story des Spinnenmanns ja zwangsläufig verortet. Im mittlerweile dritten Franchise-Anlauf wurde der Welt des Spinnenmanns nämlich jede Kante geglättet. In der Highschool sieht keiner mehr Scheiße aus, jeder hat einen flotten Spruch auf den Lippen und die olle Tante May wurde inzwischen auf Marisa-Tomei-Hotness ge-upgraded. Für schräge Vögel und stille Außenseiter (den man beispielsweise einem eigentlich viel zu alten Tobey Maguire noch abkaufte) ist hier kein Platz mehr. Peter Parker trägt stattdessen feschen Seitenscheitel und Sixpack und das Leben wird spielerisch gemeistert. "Homecoming" ist damit vor allem eine Traumwelt für pickelige Teens, die sich sehnsuchtsvoll in den Körper von Tom Holland projizieren können, in der Lebenswirklichkeit des Films aber nirgends repräsentiert werden. Irritierend ist auch wie oft der Film über seine Figuren darauf hinweisen muss wie „awesome“ und „cool“ dies und jenes gerade war. Bei so viel Selbstbegeisterung und Meta-Gag vergisst Marvel natürlich mal wieder eine gute Geschichte mit liebenswerten Charakteren zu erzählen. Stattdessen gliedert man sich nahtlos in das Referenzsystem des MCU ein, indem man den Film durch Bezugnahme auf den Civil War und kleinere und größere Cameos fast schon wie eine Behind-the-Scenes-Folge der „Avengers“-Reihe erzählt. So viel Zielgruppen-Kalkül muss dann zu allem Überfluss auch noch von den armen Ramones bespielt werden. Weil's so fucking rebellisch ist. 

3/10

Montag, 18. Dezember 2017

"Star Wars: Episode III – Revenge of the Sith" [US '05 | George Lucas]

Die Jedis sind fernöstlich geschulte Kampfmönche, irgendwo zwischen spirituellem Wegführer und Superheld. Und die Kultur der Jedis ist es, die „Star Wars“ in seinem Kern ausmacht. Die große Chance der Prequel-Trilogie lag folglich in der großen Rolle, die die Jedis in ihr spielen sollten. Statt Relikt vergangener Tage (die Original-Trilogie) oder sogar zum Mythos verblasst („Force Awakens“) ist diese Kultur hier noch tief verwurzelt mit den politischen Strukturen der Republik und sogar eigenständiges Organ in der Gewaltenteilung. „Revenge of the Sith“ ging mit dem Kapital ungeheurer Fallhöhen in den Abschluss der viel gescholtenen Prequel-Trilogie: Der als Auserwählte gehandelte Skywalker darf endgültig zur behelmten Ikone aufsteigen, die Republik in seine Einzelteile zerfallen und als Diktatur wiederauferstehen und der Jedi-Orden den Kampf um die Demokratie und damit um seine nackte Existenz verlieren – zumindest vorerst.

In den Gesprächen zwischen Anakin und Palpatine (scharfzüngig und wunderbar sinister gespielt von Ian McDiarmid) beschreitet Lucas wirklich neue Wege und erklärt die Philosophie der Sith als naturgegebenes Ausgleichsgewicht gegenüber den Jedis fast schon zu einer legitimen Option. Leider ist die Wandlung von Anakin nur schwer nachvollziehbar und dessen Dilemma im Gesicht von Hayden Christiansen schlecht aufgehoben. Die immer eher theoretisch gedachten Allegorien auf Staatsstürze und aufkommende autoritäre Systeme bekommen in der Fratze von Palpatine in seiner auch äußerlichen Angleichung an den Imperator aus der Original-Trilogie dafür umso mehr ein Gesicht. Im Shakespeare-Theater von Palpatine wird das Kartenhaus der Sterne-Saga wirklich lebendig und Lucas kann beruhigt den breiten Pinsel schwingen. In der Inszenierung zwischenmenschlicher Konflikte und in der Enge von Räumen stößt er aber immer wieder an seine Grenzen.

Aus einer selbstständigen, verantwortungsvollen Politikerin wie Padme macht Lucas eine dauer-verheulte Hausfrau, die geduldig auf irgendwelchen Balkons wartet, Anakin mutiert vom orientierungslosen Lappen mit einem Mal zum Massenmörder und im dritten Teil muss sogar Ewan McGregor erkennen, dass in dieser Oper jede schauspielerische Anstrengung vergebens ist. Der Faszination der Jedis mit frischen Ideen neue Konturen zu verleihen, bleibt Lucas leider auch schuldig. In der Runde des Jedi-Ordens nehmen neben Mace Windu und Yoda (pro CGI) kaum neue, interessante Lichtschwert-Gestalten Platz. Und gute Lichtschwert-Duelle sind in „Star Wars“ ironischerweise nach wie vor rar – einen alten Christopher Lee als CG-Charakter zu übertriebenen akrobatischen Fähigkeiten zu verhelfen ist dabei ebenso wenig episch, wie Sidious und Yoda, die sich mit fliegenden Untertassen beschmeißen.

Und doch – und das sollte man bei allem Ärger nicht vergessen - steht hinter all den albernen Höhepunkten dieser Trilogie, und insbesondere in ihrem Abschluss, eine ziemlich gute Geschichte, die erwartbar fatalistisch die Brücke zur neuen Hoffnung schlägt. Die Hoffnungslosigkeit und Konsequenz von „Revenge of Sith“ wäre im gegenwärtigen Blockbuster-Kino jedenfalls kaum denkbar und stellt der beliebigen Folgenlosigkeit dutzender Superhelden-Filme nihilistische Untergangs-Bilder entgegen. 

6/10

Sonntag, 3. Dezember 2017

"Das Kartell" [US '94 | Phillip Noyce]

Das ist schlicht und ergreifend gut gemachtes Thriller-Kino, das weniger die Bekämpfung eines Kartells (deutscher Titel), als die innenpolitische Intrige (Originaltitel) zum Zentrum hat. Ford ist für die Besetzung von Clancys idealistischer Romanfigur ein absoluter Glücksgriff und agiert fernab des süffisanten Schmuggler-Grinsens eines Han Solo. Zudem ist Jack Ryan kein klassischer Action-Held, folglich ist „Clear and Present Danger“ auch kein reinrassiger Action-Film. Stattdessen sind viele großartige Einzelszenen neben den zwei großen Action-Set-Pieces zu finden, wenngleich der Anschlag auf einen Auto-Konvoi in Kolumbien unfassbar Druck auf dem Kessel hat. Besonders memorabel sind die Auftritte von James Earl Jones als krebskranker Vorgesetzter, der in seinen letzten Atemzügen noch an die Verantwortung gegenüber dem Souverän gemahnt. Denn inmitten interventionistischer US-Außenpolitik und wiederholtem Völkerrechtsbruch platziert der Film klugerweise Ryan, der im Weißen Haus die Graustufen des politischen Tagesgeschäfts am eigenen Leib zu spüren bekommt. In einer Parallelmontage, in der der US-Präsident eine Begräbnisansprache zu einer Grundsatzrede über politische Ideale erhebt und in Kolumbien zu gleicher Zeit ein illegales Kampftrupp der Amerikaner durch Söldner des Drogenkartells aufgerieben wird, das dieser beauftragt hat, zeigt der Film klar, dass seine Solidarität bei den Soldaten, keinesfalls aber bei den hohen politischen Entscheidungsträgern liegt. Diese Ambivalenzen trübt lediglich ein allzu heroischer Horner-Score und der Showdown in „Phantom-Kommando“-Manier. - Geschenkt. 

6/10

Samstag, 2. Dezember 2017

Zuletzt gesehen: November 2017

"Dead Zone" [US '83 | David Cronenberg] - 6/10

"Nichts passiert" [SZ '15 | Micha Lewinsky] - 5/10

"Hail, Ceasar!" [US, UK '16 | Joel & Ethan Coen] - 5/10

"Bridget Jones' Diary" [UK '01 | Sharon Maguire] - 3/10

"Moonrise Kingdom" [US '12 | Wes Anderson] - 6/10

"Seoul Station" [KR '16 | Sang-ho Yeon] - 4/10

"The Fly" [US '86 | David Cronenberg] - 9/10

"Blind & Hässlich" [DE '16 | Tom Lass] - 6/10

"Gold" [DE '13 | Thomas Arslan] - 5/10

"The Holiday" [US '06 | Nancy Meyers] - 2/10

"Stella Polaris Ulloriarsuaq" [DE '17 | Yatri N. Niehaus] - 5/10

"Playing God" [DE '17 | Karin Jurschick] - 6/10

"Robinù" [IT '16 | Michele Santoro] - 6/10

"Cameraperson" [US '16 | Kirsten Johnson] - 8/10

"Persona" [SE '66 | Ingmar Bergman] - 5/10

"Genocide" [US '81 | Arnold Schwartzman] - 2/10

"Kreuzweg" [DE '14 | Dietrich Brüggemann] - 3/10

"Jurassic Park" [US '93 | Steven Spielberg] - 7.5/10

"Der ewige Jude" [DE '40 | Fritz Hippler] - 0/10

"Jud Süß" [DE '40 | Veit Harlan] - 0/10

"Wir sind jung. Wir sind stark." [DE '14 | Burhan Qurbani] - 4/10