Mittwoch, 18. April 2012

"Boogie Nights" [US '97 | P.T. Anderson]

Selten vermochte eine erste Kamerafahrt derart zu beeindrucken. Scheinbar ohne Cut führt uns Anderson technisch virtuos in die 70er Jahre. Und das, was er uns da zeigt, sind die 70er Jahre – zu jeder Sekunde, mit jeder Einstellung, mit jeder Dialogzeile. „Boogie Nights“ präsentiert sich dabei als unfassbar universeller Film, funktioniert als mitreißendes Charakterporträt einer Pornofilm-Ikone ebenso gut, wie als akribische Milieu-Studie, ohne etwas davon unnötig in den Vordergrund zu schieben. „Boogie Nights“ seziert dabei viel weniger die Mechanismen seines Umfeldes, als dessen Beteiligte. Vom introvertierten Nebendarsteller, dessen Schmerz fast greifbar scheint (phänomenal: Philip Seymour Hoffman), über den ehrgeizigen und doch so gütigen Filmemacher (perfekt: Burt Reynolds), der ebenso wenig in das Klischee seiner Industrie zu passen scheint, wie seine „Familie“, bis hin zum abgehobenen Porno-Star (überzeugend: Mark Wahlberg) und dessen Fall, erzählt Anderson in seiner zweiten Regie-Arbeit eine Vielzahl von Geschichten. Und so gestaltet sich „Boogie Nights“ doch vor allem als Entdeckungsreise durch eine fremde Welt, die – abgesehen vom Aufstieg und Fall des Protagonisten – überraschend sensibel und alltäglich daherkommt. Der finale Gewaltausbruch – der scheinbar das vorangegangene Fehlen expliziter Szenen zu kompensieren versucht – kommt da schon etwas befremdlich daher, wenngleich er seine Wirkung nicht verfehlt. Unterm Stricht bleibt das herausragende Stück Film eines Ausnahme-Regisseurs, das bis auf einige Längen und seine finale Gewalt-Eskalation wenige Schwächen aufzuweisen hat und dem gerade in seiner Darstellung von Schicksalen eine ganz besondere Sensibilität innewohnt.

8/10

Mittwoch, 11. April 2012

"Constantine" [US '05 | Francis Lawrence]

Trotz aller Vorbehalte gegenüber Reeve's limitierten Schauspiel-Qualitäten und entgegen der anfänglichen Skepsis, erweist sich „Constantine“ dann doch als überraschend unterhaltsames, wenngleich nicht gänzlich Bibel-festes Rache-Filmchen. Klar, Reeves kommt nicht halb so cool rüber, wie ihn Francis Lawrence wiederholt in Szene setzen möchte und die obligatorischen Hass-Tiraden gegenüber Shia LaBeouf sind diesmal mehr als gerechtfertigt, jedoch taugt „Constantine“ als launisches Nachmittagsprogramm doch überraschend gut. Dies ist weniger dem recht uninteressanten Plot, als der Thematik selbst zuzuschreiben. Der Konflikt zwischen Himmel und Hölle macht Spaß in all seinen gewaltigen Auswüchsen, unterhält mit seinen mitunter toll getricksten Action-Sequenzen und verbaut neben altbekannten Bibelmotiven auch einige interessant konzipierte Charaktere. Und so schießt, raucht und fighted sich Neo alias Keanu Reeves alias John Constantine im visuell äußerst stimmigen Look bis ins saucool inszenierte Finale, in dem schließlich fucking Luzifer, Belzeboob, Satan himself seinen ebenfalls sehr coolen Auftritt hinlegen darf. Dass das ganze auf einem Comic basiert, überrascht derweil weniger, gerade das visuelle Konzept dürfte maßgeblich von seinem literarischen Ursprung inspiriert worden sein und so mausert sich „Constantine“ sogar zu einer Comicverfilmung der besseren Sorte. Das Ensemble um Reeves tut schließlich den Rest: Weisz ist süß, aber unauffällig, Hounsou taugt als cooler Sidekick und Swinton macht sich geradezu formidabel in der Rolle des Engel Gabriel.

6/10

Sonntag, 8. April 2012

"The Ring" [US '02 | Gore Verbinski]

Man braucht nicht lange, um zu registrieren, dass „The Ring“ die Akzente deutlich anders setzen wird als sein japanisches Original. Regisseur Gore Verbinski setzt die obligatorische Finte gleich zu Beginn und verfeuert auf Kosten einer kleinen Demonstration der bösartigen Entität auch gleich darauf zwei kichernde Teenager, denen im Vorfeld jedoch völlig Genre-untypisch ein halbwegs intelligenter Dialog zugestanden wurde (das Original präsentiert sich hier wesentlich klischeebeladener). 

Dass Verbinski sich gerade an dieser Stelle einige Freiheiten bezüglich des Original-Stoffes genommen hat, erweist sich retrospektiv betrachtet als überaus cleverer Schritt, so erleichtert er somit gerade jenen Einstieg, der in „Ringu“ so langatmig ausfiel. Atmosphärisch steht „The Ring“ seinem Original in nichts nach: die Stille ist bedrückend, das raue Wetter kündigt das kommende Unheil scheinbar an und überhaupt vermochte ein Remake – dessen größte Schwäche zumeist die bereits bekannte Geschichte ist – so sehr zu fesseln wie Verbinski's Neuauflage des bekannten japanischen Horror-Schockers. 


Trotz des intensiven Flirts mit Horror-typischen Stilelementen erweist sich „The Ring“ jedoch wie schon sein Vorbild, in erster Linie als Mystery-Thriller, denn als tatsächlicher Horrorfilm. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Nachforschungen der Journalistin Rachel (sichtlich unterfordert: Naomi Watts) und deren Entdeckungen. Der Horror kommt, wenn überhaupt, in Form von Visionen und Tagträumen zum Vorschein, verfehlt an diesen Stellen seine implizite Wirkung jedoch nicht und sorgt für gerade jenen nötigen Zug in der schleppenden Dramaturgie, der im japanischen Original fehlte. 


Doch so positiv sich solche kleineren Änderungen auf die Dramaturgie auswirken, so unsinnig kommen wiederum andere daher und Verbinski setzt in einem Anflug von künstlerischem Enthusiasmus auch einige alberne Höhepunkte (Fähre).
Und auch aus technischer Hinsicht gibt es wenig zu meckern, jede Einstellung sitzt, jede Perspektive hat Sinn. „The Ring“ ist ein stilistisch herausragendes Remake. Farbgebung, Kamera, Schnitt und subtiler Score ergänzen sich perfekt und machen aus Verbinski's Neuauflage einen optischen Augenschmaus. 

Naomi Watts kämpft derweil tapfer gegen einige grobe Drehbuch-Schnitzer (hölzerne Dialogzeilen) und einen psychedelischen Jungen an, der in bester „The Sixth Sense“-Manier schließlich den finalen Twist einläutet, die meiste Zeit jedoch vor allem damit beschäftigt ist, gehörig auf die Nerven zu gehen (hier bevorzuge ich doch eher den stillen Japaner, als diesen potentiellen Serienkiller). Glänzen darf aus der eigentlich ganz netten Schauspieler-Riege sowieso niemand, das ist in erster Linie dem minderwertigen Drehbuch zuzuschreiben, das mehrere Male durch grauenhaft platte Dialoge aufzufallen weiß und den eh schon recht dürftigen Plot mit gängigen Horrorfilm-Klischees (Irrenanstalt samt gruselig flüsterndem Mädchen; billige Jump Scares) aufzuwerten glaubt. 

Und doch bleibt mit „The Ring“ ein wunderbar altmodischer Thriller, der die ruhige Gangart des Originals nie vollends verinnerlicht, sondern ganz eigene, modernisierte Wege beschreitet und in Zeiten austauschbarer Teenie-Slasher kommt Verbinski's Horror-Remake fast schon innovativ daher...

6/10

Freitag, 6. April 2012

"Ringu" [JP '98 | Hideo Nakata]

Man kann es womöglich atmosphärisch nennen, wenn eine junge Frau über eine halbe Stunde planlos durch die - zugegeben - recht hübschen Szenerien Japans flaniert - man kann es aber auch schlichtweg langweilig nennen. In typisch japanischer Manier lässt sich Nakata Zeit für eine ausführliche Exposition, führt uns trotz des vermeintlich spannungsgeladenen Beginns äußerst sanft in die Welt seiner Protagonistin, vor allem aber in die Thematik als solches ein. Man sollte zwar meinen, dass mit dem Gespräch der beiden Teenager zu Beginn, alles zur abendfüllenden Thematik gesagt wäre, doch Nakata lässt es sich nicht nehmen, uns zunächst einmal zu den unfreiwilligen Beobachtern grauenhafter Dialoge und langweiliger Interview-Besuche zu machen. 

Doch hat man sich erst einmal durch die einschläfernde Einführung gearbeitet, zieht Nakata das Tempo sichtlich an, jedoch ohne in Hektik zu verfallen. Sobald die Recherchen der jungen Journalistin erste Früchte tragen, beginnt auch der Horror langsam seine subtile Wirkung zu entfalten. Besonders hervorzuheben ist hierbei vor allem das alles vorantreibende Videoband, welches tatsächlich die ersten spannungsgeladenen Minuten garantiert. Die kratzige Soundkulisse, die von nun an regelmäßig als Bote des Unheilvollen fungieren soll, ist schlichtweg nervenaufreibend und läuft einem ein ums andere Mal eiskalt den Rücken herunter.


„Ringu“ hat sich sichtlich den alten Traditionen der japanischen Mystik verschrieben, neben ominösen Geistererscheinungen sind es vor allem die Leitmotive der Schuld und Sühne, die fortwährend in Form von Flashbacks durch das Geschehen wandeln. Unterfüttert wird dieser traditionell-kulturelle Ansatz dennoch von allzu bekannten Genre-Mechanismen, was nicht zuletzt an der Konzeption der Protagonistin liegt. Diese bleibt ein nutzloses Anhängsel, an dem man selten ein tatsächliches Interesse entwickelt. Zwar durfte diese sich dank Drehbuchschreiber Hiroshi einer übermäßigen, fest etablierten Devotion entledigen, jedoch bleibt sie eine nervende Hauptfigur. 

Auffällig ist derweil die fast schon charmante Bodenständigkeit von „Ringu“, während in den konvertierten US-Versionen ein zig Meter tiefer Brunnen das Grab der Verstorbenen markiert, erinnert die Ruhestätte im japanischen Original eher an ein winziges Kanalisations-Rohr. Überhaupt nimmt sich „Ringu“ angenehm zurück. Nakata zelebriert die erste Begegnung mit der mysteriösen Entität als erlösende Geste und hebt sich den überraschenden Gimmick fürs Ende auf. Dieses weiß er dann auch durchaus gekonnt vorzubereiten und gebietet dem Zuschauer noch einen Ausblick auf eine potenzielle Alternative, jedoch kommt es schließlich (diversen Parodien geschuldet) mehr albern als gruselig daher und auch der ikonische Blick des Mädchens löst vermutlich nicht mehr die selben Gefühlszustände wie noch vor zehn Jahren aus. 

Doch bei all seiner Schlaftabletten-Mentalität kann man „Ringu“ nicht seinen Beitrag zu diesem großartigen Genre absprechen. So trug Nakata's Spielfilm-Debüt doch maßgeblich zur Schaffung eines völlig neuen Verständnisses von Japan-Horror bei und gab diesem buchstäblich ein Gesicht - und ohne diese Vorlage hätte es vermutlich auch nie das ausnahmsweise bessere Remake gegeben, in diesem Sinne: Danke „Ringu“!

5/10