Sonntag, 30. September 2018

Tanz, Jackie, Tanz! - "The Foreigner" [UK, CH '17 | Martin Campbell]

Was Jackie Chan besonders macht? Nun, danke, dass sie fragen. Zunächst: kämpfen. Das kann er wirklich ausgesprochen gut. Fausthiebe, Handkantenschläge, Tritte, Tiger-Style, Kranich-Style, das ganze Programm. Hinzu kommt ein unvergleichlicher Instinkt fürs Humoristische, oder genauer: für körperbetonte Komik. Hier spricht Jackie nur mit seinem Körper, wie ein Tänzer, nur, dass die Tänzer in Jackie Chan-Filmen auch hin und wieder Schellen verteilen. Sein Gesicht hat bei diesen Kämpfen immer die lustigsten Ausdrücke; entweder die Backen aufgebläht, der Mund zu einem erstaunten O geformt oder die Zähne vor Schmerzen zusammengebissen. Scheiße, tat das weh! Natürlich sind diese Fähigkeiten nichts wert, wenn derjenige, der die Kamera auf ihn richtet und derjenige, der das Material anschließend in einer Montage filmisch fruchtbar machen soll, nicht wissen, was sie tun. Jackie Chan ist nicht der gebrochene Charakter, den schon das "Police Story"-Franchise irgendwann aus ihm machen wollte. Dazu fehlt es Jackie an Talent, das er an anderer Stelle im Übermaß besitzt. Damit seine Talente nicht auf dem Boden des Schnittraums enden, muss verstanden werden, welche Erfordernisse dessen Fähigkeiten und dessen manischer Hang zum Perfektionismus an den Schnitt stellen. 

Wo die Fähigkeiten echt sind, muss – ganz im Gegensatz zum sonstigen Sinn filmischer Arbeit - nicht so getan werden, als ob, sondern nur noch Strategien entworfen werden, die ebendiese Fähigkeiten am besten herausstellen. Jackie Chan zu schneiden, heißt nicht zu schneiden, sondern sich zurückzunehmen. Dessen Charaktere brauchen darüber hinaus auch keine tragische Hintergrundgeschichte; zumindest keine, die Jackie heulen, soll heißen: spielen lässt. Das exaltierte Gesichts-Gulasch ergibt im sinnlichen Faust-Ballett eine eigentümliche, humoristische Ausgleichsbewegung, wird aber die selbe Visage plötzlich in die Lage versetzt, existenzielle Krisen glaubwürdig ausdrücken zu müssen, werden die Grenzen eines sehr spezifischen Fähigkeiten-Katalogs erreicht. „The Foreigner“ will unbedingt Drama sein, wenn er viel zu viel Zeit darauf verwendet, Tragik und Motivik eines letztlich doch unfassbar langweiligen Charakters auszugestalten (Vergangenheit bei der Elite der Elite etc. pp.). Martin Campbell versteht Jackie Chan als Schauspieler grandios falsch: Jackie Chan muss tanzen, um zu einem genuinen Ausdruck zu gelangen. Vielleicht könnte er dann sogar die existenzielle Krise seiner Figur in einen einzigen Fausthieb verpacken. Nur muss man gewillt sein, ihn auch tanzen zu lassen.

Donnerstag, 20. September 2018

RFF-Spezial #2 - Himmlische Unfreiheit in "Verführung: Die grausame Frau" [DE '85 | Elfi Mikesch & Monika Treut]

Wanda dominiert, die anderen lassen sich dominieren. Sie ist die Herrin, der die anderen zu gehorchen haben. Das Schicksal ihrer Sklaven ist dabei selbst gewählt: sie wollen geschlagen, bespuckt und erniedrigt werden, sie wollen kein Mensch mehr, sondern Kreatur, niederes Getier, bisweilen sogar Objekt sein. Manche wollen verschwinden, unsichtbar werden, bis zur Selbstaufgabe und im radikalsten Falle bis zur Selbstvernichtung. Sadomasochismus operiert mit invertierten Luststrukturen und sucht gerade die Asymmetrie in der zwischenmenschlichen Beziehung. Mehr noch als eine Krise der Männlichkeit lässt sich im lustvollen Spiel mit dem Schmerz, der Verachtung und Unterwerfung eine Krise des modernen Menschen per se diagnostizieren. Dieser leidet unter dem Erbe einer Freiheit, die er nie selber erringen musste. Jede offene Option birgt die Aussicht einer falschen Entscheidung, jedes Unglück die Aussicht, selber dafür verantwortlich zu sein. Die Albträume des modernen Menschen führen auf kürzestem Wege in die Selbstverantwortlichkeit und damit geradewegs in die Selbstverschuldung. Wanda fungiert als stabilisierende Kraft in einer Welt, die sich stetig verändert. Ihre Erniedrigungen sind ein Ausweg aus der überwältigenden Verantwortung, die der Freiheit stets anhaftet. Sie wird zu einer göttlichen Instanz in einer religiös erkalteten Gesellschaft. Sich Wanda zu überantworten bedeutet auch gleichzeitig den Rückzug in eine voraufklärerische Zeit und die Wiederherstellung einer selbst verschuldeten Unmündigkeit. Und hinter der Sehnsucht nach Strafe scheint vor allem die Gewissheit zu stehen, sich schuldig gemacht zu haben. Der (post-)moderne Mensch steckt tatsächlich in der Krise. Und er vereinzelt sich zusehends. Er hat Zugang zum gesammelten Wissen der Welt und agiert doch nur gelähmt angesichts ihrer überwältigenden Komplexität; und der Schuld, die am Grund der überwältigenden Leiden liegt, die er mitzuverantworten hat. Wie schön wär's also, Sadomasochist zu sein. Wie himmlisch die Aussicht, wie himmlisch die Unfreiheit. 

*gesichtet auf dem Randfilmfest in Kassel

Montag, 17. September 2018

RFF-Spezial #1 - "Luz" [DE '18 | Tilman Singer]

„Luz“ ist in jedem Fall ein genuin filmisches Erlebnis. Mit einer Zusammenfassung inhaltlicher Eckpunkte ist dem Film also kaum beizukommen. „Luz“ ist gleichermaßen die penible Rekonstruktion eines vergangenen Kinos, mindestens einer vergangenen Kinoästhetik und damit natürlich Bestandteil jener Retromanie, die die westliche Filmwelt im Allgemeinen und das Horrorgenre im Besonderen seit mehreren Jahren fest im Griff hat. Neben dem 80er Jahre-Kino, gesteht „Luz“ auch dem 70er Jahre-Kino seine Liebe. Das tut er detailversessen: der richtige Teppich, die richtige Tapete, das richtige Möbelstück, die Klamotten (Sneakers und Cap, ausgelatscht und ausgetragen) verschmelzen hier zu einer Zeitkapsel. Derweil wummert der Synthwave-Score, jedoch mehr hintergründig und akzentuiert als in vergleichbaren Filmen – wenn es denn solche überhaupt gibt. Bildfehler, Farben, Formen, Klänge, 16mm-Filmmaterial, sie alle sollen an die Vergangenheit gemahnen, Referenzgrößen bereitstellen, an denen es sich dann, zwangsläufig, zu messen gilt. Inhaltlich bleibt vieles abstrakt, angedeutet, unausgesprochen, stattdessen wird das Gesprochene in Schleife geschaltet, im Mantra repetiert. Wenngleich man kruden Vorstellungen davon, Filme könnten anhand von Checklisten abgehakt und danach als Summe solcher Checkpunkte bewertet werden, nur allzu schnell eine Absage erteilen möchte, kommt man doch nicht umhin, nach dem Inhalt des Filmes zu fragen. Bricht er sich an der Oberfläche Bahn? Ist er nur Oberfläche und will genau das sein? Thematisiert er eben diese Oberfläche? Für eine rein ästhetische Erfahrung ist „Luz“ dann doch zu sehr darum bemüht, kausale Handlungszusammenhänge darzustellen und am Ende so bedeutungsoffen und vage, dass er sich eigentlich jeder Interpretation dienbar machen lässt. Oder: er ist so leer, dass er mir die Freude an der Interpretation genommen hat. 

*gesichtet auf dem Randfilmfest in Kassel

Sonntag, 9. September 2018

"Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders" [DE '06 | Tom Tykwer]

Das Ende des Filmes ist spektakulär: Hier liest sich „Das Parfum“ als profunde Allegorie auf den Prozess des Kunstschaffens und begreift seinen Protagonisten unmissverständlich als Künstler-Figur. Nach all der Hingabe und all den Entbehrungen, die Grenouille auf der Suche nach dem vollendeten Kunstwerk in Kauf nahm, muss dieser erkennen, dass der eigentliche Gegenstand seiner Kunst (das Subjekt) im Laufe des Prozesses abgetötet wurde. Er war beseelt von der Idee einer vollendeten Kunst, die die weltliche Erfahrung im Kollektivgedächtnis ihrer Rezipienten in die Ewigkeit trägt. Die überwältigende Wirkung, die von seiner Kunst ausgeht, indiziert ihre Grundlage, ihre Inspiration, ihre weltliche Substanz, musste sie sich aber gleichzeitig einverleiben. Hier ist die Kunst zerstörerisch, gewaltig und gnadenlos. Und sie bezeugt eine gewisse Weltvergessenheit, weil sie den Künstler, der die Welt in einer Abstraktion umso intensiver lebt, einsam macht. Am Ende steht er mit seinem Kunstwerk dar, einem Meisterwerk, ganz ohne Zweifel, und ihm bleibst angesichts dieser erschütternden Erkenntnis nicht anderes übrig als sich und sein Kunstwerk der Hysterie der Massen zu überantworten. Er möchte sagen „tötet mich, tilgt mich von dieser Welt, denn ich bin nichts als ein Blender, meine Kunst ist grausam“. Zu spät begreift er um den Wert der Vergänglichkeit, die er die ganze Zeit zu bekämpfen suchte. Er wird nicht von den Massen verschlungen, sondern von seiner eigenen Kunst. Das ist fucking Poesie.

Samstag, 1. September 2018

Zuletzt gesehen: August 2018

"The Firm" [US '93 | Sydney Pollack] - 4/10

"Asterix im Land der Götter" [FR '14 | Alexandre Astier & Louis Clichy] - 5/10

"The Bad Batch" [US '16 | Ana Lily Amirpour] - 4/10

"Mission: Impossible - Fallout" [US '18 | Christopher McQuarrie] - 6/10

"Anchorman 2: The Legend Continues" [US '13 | Adam McKay] - 4/10

"Mr. Deeds Goes to Town" [US '36 | Frank Capra] - 6/10

"Mr. Smith Goes to Washington" [US '39 | Frank Capra] - 7/10

"Paracelsus" [DE '43 | G. W. Pabst] - 4/10

"Resolution" [US '12 | Aaron Moorhead & Justin Benson] - 6/10

"Risky Business" [US '83 | Paul Brickman] - 6.5/10

"The Foreigner" [UK, CH, US '17 | Martin Campbell] - 4/10

"Fast Times At Ridgemont High" [US '82 | Amy Heckerling] - 5/10

"Weird Science" [US '85 | John Hughes] - 4/10

"National Lampoon's Vacation" [US '83 | Harold Ramis] - 3/10

"Caddyshack" [US '80 | Harold Ramis] - 2/10

"Gespenster" [DE '05 | Christian Petzold] - 5/10

"Nymph()maniac: Volume 2" [DK, FR, DE, UK '13 | Lars von Trier] - 5/10

"Freistatt" [DE '14 | Marc Brummund] - 2/10

"The Big Lebowski" [US '98 | Joel & Ethan Coen] - 7/10

"Without Memory" [JP '96 | Hirokazu Kore-eda] - 7/10

"Kammerflimmern" [DE '04 | Hendrik Hölzemann] - 4/10

"Fikkefuchs" [DE '17 | Jan Henrik Stahlberg] - 4/10

"Pretty Woman" [US '90 | Garry Marshall] - 7/10

"Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders" [DE '06 | Tom Tykwer] - 5/10

"BlacKkKlansman" [US '18 | Spike Lee] - 2/10

"Okja" [KR, US '17 | Bong Joon-ho] - 5/10

"Ghost" [US '90 | Jerry Zucker] - 4/10

"Carnival of Souls" [US '62 | Herk Harvey] - 6/10

"The Cleaners" [DE, BR, NE, US '18 | Moritz Riesewick & Hans Block] - 7/10

"Die Mitte der Welt" [DE '16 | Jakob M. Erwa] - 4/10