Donnerstag, 27. Dezember 2018

Grenzen überwinden - "Your Name" [JP '16 | Makoto Shinkai]

Toll und vor allem weitgehend ohne große Mätzchen erzählt: da wird sich ein paar Mal in den Schritt gefasst und die Brüste betastet, aber die Lautstärke handelsüblicher Anime bleibt einem erspart. Die primäre Verortung als Körpertausch-Komödie ist dabei nur eine Falle, um sich ab des originellen Twists Fragen zum ewigen Leib-Seele-Dilemma und vor allem dem Wesen von Erinnerung zu stellen. In der hemmungslosen Sentimentalität des Filmes, die sich mit Blick auf das dargestellte Sujet und die damit angepeilte Zuschauerschaft nur als konsequent erweist, drücken sich außerdem eine ganze Reihe von jugendlichen Sehnsüchten aus. Die Körpertausch-Prämisse verbindet sich dabei auf sinnige Weise mit den naiven, romantischen Vorstellungen der Teenager, die ganz fest an eine schicksalshaft vorherbestimmte, und vor allem alle Zeiten und alle leiblichen Limitationen überwindende Liebe glauben möchten. Das Gedankenspiel, im Körper des jeweils anderen leben zu müssen, verkettet sich dann auch grandios mit den Angst- und Vorstellungswelten der Adoleszenz: nie wieder wird die Entfremdung vom eigenen Körper und die dadurch entstehende Verunsicherung tiefer empfunden und nie schienen die Antworten auf die Fragen nach der eigenen Identität, einer Idee von der eigenen Rolle in der Welt, drängender. Im Bestreben aneinander wieder zu erinnern und einander wiederzufinden, erhoffen sich Taki und Mitsuha, die Begrenzungen des Körpers zu überwinden und schlussendlich transzendieren zu können. Das alles gipfelt weder in unangenehmem Slapstick, noch im ganz peinlichen Pathos, das Shinkai auch hier stets sucht, das sich jedoch vor allem in einem fast durchgehenden, melancholischen Grundtenor ausdrückt. Dass ein solcher Film die internationalen Kinocharts zu erklimmen vermag, lässt einen den Glauben an die Kraft des populären Films zudem nicht gänzlich verlieren. Und statt der Superhelden dürfen diesmal ein paar jugendliche Romantiker zur Rettung der Welt eilen – mit der Kraft einer Liebe, die alle physikalischen Grenzen überwindet.

Samstag, 22. Dezember 2018

"Polizeiruf 110: Tatorte" [DE '18 | Christian Petzold]

In seinen ersten beiden Beiträgen zur Polizeiruf-Reihe ließ Petzold noch erahnen, welche Chancen seine Mitwirkung an diesem Format bergen könnte. Wo sich seine Idee vom Film nicht mit den zu Konventionen erstarrten Strukturen des Krimi-Formats vereinbaren lässt, ergeben sich spannende Reibungspunkte und damit vielerlei Möglichkeiten zur Subversion. „Kreise“ und „Wölfe“ kommentierten die deutsche TV-Landschaft, so wie sie es gleichermaßen verstanden, darüber hinauszuweisen. Die Romanze zwischen Hans von Meuffels und Constanze Hermann installierte Petzold auf Kosten des Krimi-Plots mindestens gleichberechtigt, in „Wölfe“ experimentierte er zudem mit den expressiven Bilderwelten des deutschen Stummfilms. Im dritten Film, Abschluss der von Petzold verantworteten Polizeiruf-Trilogie und Abschied von Matthias Brandt in seiner Kommissaren-Rolle, ist das Drehbuch-Rascheln allerdings lauter geworden. Damit einhergehend ist Meuffels mehr denn je Sprachrohr seines Regisseurs. Andauernd gibt es einen Schlaumeier-Kommentar, eine korrigierende Bemerkung oder ein genervtes Ausatmen. Mit den Methoden der neuen Partnerin werden nämlich gleichsam die filmischen Methoden des Subjets kritisiert. Wenn diese auf Zwischenfragen ihres Vorgesetzten wartet, stößt sie lediglich auf Stille, wenn sie dessen Tathergangs-Rekonstruktion mit dem Smartphone zu filmen versucht, verliert er endgültig die Fassung. „Tatorte“ ist die postmoderne Dekonstruktion des 20:15-Uhr-Krimis und dabei ebenso neunmalklug wie unaufrichtig. Petzold scheint sich streckenweise sogar an seinem eigenen Film zu langweilen und trägt seine Abscheu über Meuffels offen zur Schau. Maximal zynisch ist auch der Abgang seiner neuen Partnerin, deren Tod lediglich Bewandtnis für die Charakterentwicklung des Kommissars hat. Der darf dann mit seiner Herzdame selig in einem schlechten Laurel und Hardy-Sketch schwelgen und alles ist gut. Wäre es stattdessen nicht Subversion genug gewesen, den Sendeplatz mit einem guten Film zu okkupieren? Und all Kritik dadurch zu äußern, es einfach besser zu machen als diejenigen, die man kritisiert?

Mittwoch, 19. Dezember 2018

Gemeinsam Gespenst sein – Das Kino von Christian Petzold

Der eisige Windhauch, der aus den angestaubten Schnitträumen der Berliner Schule zu dringen scheint, ist gar nicht so eisig. Aus den formalen Selbstbeschränkungen dieser lose miteinander assoziierten Filmemacher, die vielleicht eher eine Philosophie des Kinos eint, auch gleichermaßen emotionale Kälte abzuleiten, wäre grob fahrlässig, Und es entginge einem eine Vision vom Kino, die gerade in der deutschen Kinolandschaft ein Gegengewicht zu verfilmtem Geschichtsunterricht oder Komödien über Männer und Frauen bilden könnte, indem es Platz für die Zwischenräume und Transitzonen menschlicher Biografien lässt. Jene Orte also, an denen das Gespenst sein Dasein fristet. Durch die Kino-Landschaften Petzolds geistert es seit jeher. Seine Figuren streifen durch diese Landschaften immer schwer nahbar, verloren, nicht wirklich da, nicht wirklich weg. Es wird schnell klar: das Kino Petzolds ist nicht nüchtern, sondern schüchtern.

Intrinsische Charaktere, keine Extrovertierten oder Paradiesvögel, sondern in sich brodelnde, schüchterne Wesen, Einzelgänger, Grenzgänger bilden das Gravitationszentrum seiner Filme, laden sie auf. Seine Figuren wandeln auf Grenzen, bilden also eine Grenzerfahrung ab, schweben irgendwo im Dazwischen, harren in Zonen des Übergangs aus. Es geht immer um Gespenster, also die Vergangenheit und ihre Erfahrungen und wie sie in die Gegenwart hineinwirkt, um die Zukunft zu gestalten. Und es geht darum, wie sehr wir uns von unserer Vergangenheit gefangen nehmen, lähmen lassen; wie deterministisch unsere Leben vorgezeichnet sind, ob wir es auf Schienen durchfahren oder ob wir vor einer leeren Leinwand stehen. Mit der Vergangenheit sind die Schulden, mit denen wir beladen sind. Und da ist die Idee der Absolution und die Frage, ob wir sie erwarten sollen, sie erwarten dürfen.

Mit den Hauptfiguren seiner Filme bin ich stets auf der Suche, oder auf der Flucht, manchmal ist das eine nicht vom anderen zu unterscheiden. Seine Filme zeichnet dabei eine eigentümliche impressionistische Qualität aus, wenngleich er sich bisweilen in expressionistischen Formspielen erprobt. Seine Figuren sind impressionistisch in dem Sinne, dass sie verschlossen bleiben, nach innen gerichtet. Jedes Zeichen, das nach außen dringt und anzeigen könnte, wie es um die Innenwelt der Figuren bestellt ist, gilt es deswegen umso begieriger, umso aufmerksamer zu deuten. Die Sichtung eines solchen Kinos – eines des aufmerksamen, proaktiven Auf-die-Suche-Machens – erfordert dementsprechend höchste Aufmerksamkeit. Petzold macht Angebote, gibt versteckt Hinweise, aber er hält die Tür immer nur einen Spalt offen.

Seine Figuren sind in der Maskerade verfangen, spielen den anderen etwas vor, täuschen diese und sich selbst, manchmal verliert sich ihre Identität und sie stülpen sich eine neue über. Menschen sind dann nicht die, wofür wir sie gehalten haben. Das ist das allzumenschliche, dem Petzold stets mit schier unstillbarer anthropologischer Neugierde begegnet. Manchmal gehen die Menschen auch von uns, aber weigern sich die Szenerie zu verlassen. Sie werden zu Gespenstern. Wenn Petzold romantisch wird, dann können sich seine Figuren plötzlich ohne Spiel und ohne Falsch gegenüberstehen und miteinander sprechen, aneinander anblicken und nichts sagen; können sich aber dennoch erzählen, wie viel sie einander bedeuten ohne schüchtern zur Seite zu blicken. Hier liegt sein Versprechen an die Gespenster des Kinos: In der zwischenmenschlichen Begegnung überkommt man das Gespenster-Dasein, versichert sich seines Wertes, stiftet Sinn; oder man wird gemeinsam zum Gespenst.

Sonntag, 9. Dezember 2018

Feminismus falsch gedacht - "Damsel" [US '18 | David & Nathan Zellner]

Im Kern der Geschichte verbirgt sich ein fatales Missverständnis: Samuel (Robert Pattinson) will seine Angebetete aus den Fängen eines Kidnappers befreien, um sie dann an Ort und Stelle zur Frau zu nehmen. Doch diese hat, wie lästig, ihren ganz eigenen Willen. Die Damsel aus „Damsel“ möchte nämlich gar nicht gerettet werden. Stattdessen will sie einfach nur in Ruhe ihr Leben leben und hofft, ihr Glück in der Ehe gefunden zu haben - wären da nicht all die aufdringlichen Männer, die sich immer noch in den Zeiten eines John Wayne-Western wähnen. Diese wollen Penelope entweder erobern, besitzen oder auch zur Strecke bringen, sollten sich ihre Besitzansprüche an Penelope nicht verwirklichen lassen. „Damsel“ will also ein feministischer Western sein, tappt jedoch in dieselbe intellektuelle Falle wie seine radikalsten Ausprägungen im Netz.

Die Frau stark zu machen, bedeutet nicht einfach den Mann schwach zu machen. Und Ungleichbehandlung löst sich nicht durch eine Invertierung solcher Machtstrukturen auf. Doch statt eines Nebeneinanders legt der Film vor allem eine neue Geschlechter-Hierarchie nahe. Penelope, trotz der Umstände wundervoll gespielt von Mia Wasikowska, steht über den anderen. Den Relikten eines totgeglaubten Genres tritt sie mit emanzipatorischer Entschlossenheit entgegen. Diese Asymmetrie drückt sich vor allem in der Charakterisierung der männlichen Figuren aus. Der zunächst als Protagonist installierte Samuel erweist sich als selbstsüchtiger Träumer, Parson Henry (David Zellner) versucht als rückgratloser Windhund lediglich zu überleben (und wird nach einem jämmerlichen Heiratsantrag abermals gedemütigt) und der Bruder ihres Mannes ist sich noch nicht ganz sicher, ob er Penelope nun umbringen oder doch zur Frau nehmen soll, um sie wie einen Gegenstand aus dem Erbe seines Bruders in seinen Besitz zu überführen. Selbst der Ureinwohner, der zu ihrer Rettung eilt, verschwindet im Morgengrauen mit ihren Pferden.

Männer sind im Kern halt doch ziemliche Arschlöcher, und wenn sie nicht gewalttätig sind, dann sind sie schwach, gefühlsduselig, prinzipienlos oder schlichtweg verrückt. In solchen Typisierungen drückt „Damsel“ vor allem eine Rache- und Vergeltungsfantasie aus, durch die das progressive Grundanliegen des Feminismus plötzlich einen erschreckend erzkonservativen Anstrich bekommt. Als Rache für Dekaden von Filmen mit fehlender oder falscher weiblicher Repräsentation, bis hin zur blanken Frauenverachtung, gibt es nun Filme wie „Damsel“, die die Positionen ins Gegenteil verkehren. Dass der Film aus der Feder eines Brüder-Duos stammt, sollte hierbei nur im ersten Augenblick überraschen. Schließlich sind es nicht selten sich als politisch progressiv verstehende Männer, die in ihrem Kampf für die Geschlechter-Gerechtigkeit weit über das Ziel hinausschießen und aus deren bisweilen hysterisch betriebenen Zelebrierung der Frau sich eine dialektische Gegenbewegung ergibt, die in einer ebenso undifferenzierten Diffamierung des Mannes mündet. Von der Lust des männlichen Liberalen an der Selbstkasteiung mal ganz zu schweigen.

Aus der reizvollen Prämisse, nämlich einer Frau, die den alten Gesetzen des Westens und den Konventionen der Zeit als unüberbrückbarer Widerstand begegnet, könnte sich sicherlich ein guter Film ergeben, zumal sich starke Frauenfiguren auch zu den entbehrungsreichen Zeiten der Westward Expansion historisch fundieren lassen. Aus dem feministischen Anliegen des Filmes ergeben sich aber leider zunehmend Akte der Demütigung und Verachtung, die kein Mann, also kein Mensch, verdient hat.