Donnerstag, 10. Mai 2018

"Ende eines Sommers" [FR '08 | Olivier Assayas]

Ich benötigte eine geschlagene Stunde, um mir einen Reim darauf zu machen, wovon dieser Film eigentlich erzählte. Das sind immerhin Zweidrittel der gesamten Laufzeit, die ich so im Dunkeln verbrachte - nachdenklich, hadernd, suchend. Und bitte versprechen Sie mir, nicht zu gehen, wenn ich Ihnen verraten habe, was ich entdeckt habe. „Ende eines Sommers“ handelt nämlich von alledem, das zunächst kalt, dinglich und seelenlos erscheint. Er handelt von Objekten, die zu Artefakten werden, von Orten, die mit den Hinterlassenschaften eines Toten beladen sind und denen jedes Leben entwichen ist. Er handelt vom Schreibtisch - dem alten, der Kommode - der hässlichen, der Vase - der seltenen. In gewisser Weise handelt also auch „Ende eines Sommers“ von Gespenstern, oder doch zumindest von den Dingen, die ihre Anwesenheit indizieren. Und er erzählt von der seltsamen Praktik der Menschen, ein Leben lang die Dinge anzusammeln, als Ausdruck eines Selbstverständnis, aber auch als Teil eines Selbst, diese Dingwelten mit Bedeutungen aufzuladen und die intimsten Erinnerungen an sie zu ketten; er erzählt davon, sich in der Materialität der Dinge etwas gewiss zu werden, das sonst so unfassbar durch die Gedanken schwebt. Mit dem Ende eines Lebens stehen diese Dinge nur noch da, als Ankerpunkte und Erinnerungsfragmente an einen Menschen.

Auf die Brutalität des Todes folgt gleichsam die Brutalität der Bürokratie, die die Dinge nach ihrem Verkaufswert evaluiert, Bestände aufteilt und sie aus der Sphäre des Privaten herauslöst, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – institutionalisiert, mit Sachverstand kommentiert und in weiten, kalten Räumen ausgestellt. Der Film erzählt deswegen auch von musealen Praktiken und dem verzweifelten Versuch der Vergangenheit materiell fassbar zu werden. Welchen Sinn hat die Vase in der Glasvitrine, mit Samthandschuhen präpariert, wenn sie keine Blumen trägt? Assayas ist parteiisch, nähert sich der Institution aus den intimen Erinnerungen einer weit verstreuten Familie heraus – und doch gelangt er zu einer ganz profunden Erkenntnis: Die Vergangenheit lässt sich nicht konservieren und sie haftet den Dingen nicht für ewig an – sie verblasst. Assayas verlässt das Museum und wischt den Staub von den Tischplatten. Das Gottverlassene Haus lässt er von Jugendlichen bevölkern, die die Räume der Vergangenheit mit neuen Bedeutungszuschreibungen überschreiben – indem sie dort eigene Erinnerungen erschaffen. Hinter den letzten Bildern des Films steht nichts als Zuversicht und Vertrauen. Auf den Tod folgt das Leben, aber auf das Ende des Sommers folgt... der Sommer!

1 Kommentar:

  1. Interessante Lesart, ich habe den Film seiner Zeit nicht derart "verkopft" gesehen, sondern einfach recht oberflächlich. Hat aber auch funktioniert :)

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