In der zweiten Hälfte
geht der Film dann das erzählerische Wagnis ein und erzählt von
dem, wovon so wenige Filme vor ihm erzählt haben. Wie geht es
weiter, wenn man der Gefangenschaft entflohen ist? Wie geht man mit
Menschen um, die kaum noch wiederzuerkennen sind und deren Leiden man
nicht einmal annähernd nachzufühlen imstande ist? Wie sehr wiegt
der Schmerz der Verlassenen in der Relation zu den Entführten? -
Zusätzlich zur Konfrontation einer jungen Mutter mit der Welt und
der Verantwortung, die sie dort erwartet, thematisiert "Room"
die erstmalige Konfrontation eines Jungen mit der Außenwelt und
seinen Regeln. Das beinhaltet nicht nur das schwierige Psychogramm
einer in Isolation erwachsenen Kinderseele, sondern offenbart auch
einen äußeren Blick auf unsere Welt; was sie lebenswert macht, dass
sie Angst bereitet, wie groß sie ist und fast endlos scheinend und
dass sie Bedeutung dadurch erlangt, ineinander Halt zu finden. Jack
hat keine Angst vor Monstern aus dem Kleiderschrank, denn sie
existieren nur jenseits der Oberfläche des Fernsehbildschirms. In
den Begrenzungen des Rooms und des Kleiderschranks findet er Ordnung
und Struktur; etwas, das ihm mit seiner Flucht genommen wird und das
er sich zurücksehnt. Und er steht damit nicht alleine in
der Welt. Nichtsdestotrotz lag da immer etwas in ihm, das zu Größerem
hinauswollte, das im Kopf Wolkenschlösser errichtete und fremde
Welten besuchte - oder ganz pragmatisch einen Freund namens Lucky
erfand. Abrahamson gebraucht die Palette filmsprachlicher Mittel
nicht gerade subtil, aber er setzt an einem komplexen Punkt an und
setzt sich gemeinsam mit Drehbuchautorin Emma Donoghue schwierigen
Fragen aus, während er nicht das Risiko scheut das Gewicht ihrer
Geschichte auf einer jungen Schulter lasten zu lassen. "Room"
findet seinen Schlusspunkt konsequenterweise dort, wo er begonnen hat:
beim Kern des Traumas, dem es sich auszusetzen gilt, wenn ein neuer
Lebensabschnitt begonnen werden soll.
7/10
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